Japanische Kalligraphie von Junko Baba

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  • Interview-Indigo: RÜCKBLICK: Shodo lebt immer im Jetzt. Ein Artikel von Junko Baba im Online Fachmagazin Indigo-Urlaub

    Detail-Info:
    Interview
    Jahr: 2020
    Gattung: Kalligraphie
    Ort: Indigo Urlaub



    Junko Baba: „Shodo lebt immer im Jetzt“.

     

    08. Mai 2020: Inspiration(neu) erstellt von Sonja Golser, Interview: Petra Humer

    Copyright: Indigo Urlaub
    (https://www.indigourlaub.com/magazin/detailseite/news/junko-baba-shodo-lebt-immer-im-jetzt/)

     

    Wenn genug Leere bleibt, entsteht die Harmonie einer unvollendeten, sparsamen Kunst


    Indigourlaub: Frau Baba, wie denken Sie über Perfektion?

    Junko Baba: Perfektion hat für mich eher mit Harmonie, als mit Präzision zu tun. Wie überall in der Kunst, steht der Gesamteindruck mehr im Vordergrund als die einzelnen Details. Dass dies tief im Bewusstsein der Japaner verankert, merkt man auch in der japanischen Gesellschaft: Einzelpersonen ordnen sich der Gemeinschaft unter. In der japanischen Kalligraphie ordnen sich die einzelnen Striche ebenso dem Gesamtbild unter.


    Indigourlaub: Erkennen Sie einen kulturellen Unterschied in dem, was Perfektion im deutschsprachigen Raum bedeutet und was es in Japan bedeutet?

    Junko Baba: Ja, natürlich. Tagtäglich (lacht). Die abendländlichen Kulturen sind viel zu viel ja/nein-orientiert. Perfekt ist, was keinen Makel hat, die Vorschriften genauestens erfüllt und den vorgegebenen, oft quantitativen, Merkmalen entspricht. Alles was messbar ist, wird gemessen, verbessert, um es dadurch noch perfekter machen. In asiatischen Raum dagegen steht statt einer ja/nein-Entscheidung mehr das Finden eines Konsenses im Vordergrund. Ein Beispiel: Ein Mädchen kann Sonnensprossen haben (ist ja ein Makel), kann ein wenig frech sein (erfüllt die Vorschriften nicht) und wiegt vielleicht ein paar Kilogramm mehr oder weniger. Und trotz all ihrer „unperfekten Eigenschaften“ wirkt sie zusammen perfekt. In der Kalligraphie können einzelne Linien zu kurz, zu dünn, zu gerade usw. ausfallen, wenn aber das Gesamtbild in seinem Raum harmonisch wirkt, ist es perfekt.


    Indigourlaub: Ich habe gelesen, dass im Shodo ein Pinselstrich nie zweimal gezogen bzw. nachgezogen wird. Warum?

    Junko Baba: Shodo, wörtlich „der Weg des Schreibens“, ist stark mit dem Augenblick „jetzt“ verbunden, genauso, wie alle anderen japanischen Künste (Ikebana, Teezeremonie) und Kampfkünste (Judo, Budo, Karate-do). Jeder Augenblick ist einmalig und unwiderruflich. Man könnte sagen, das Tee riecht und schmeckt immer anders und wenn im Kampf jemand vom Gegner getroffen wurde, kann das auch nicht rückgängig gemacht werden. Das Schreiben passiert ebenfalls so. Mit voller Konzentration auf den gegenwärtigen Augenblick. Jegliche Korrektur reißt den Kalligraphen aus der Gegenwart heraus und versetzt in die Vergangenheit zurück. Das wäre ein Widerspruch in sich, und deshalb verboten.


    Indigourlaub: Wie könnte man das japanische Konzept Wabi-Sabi mit Shodo erklären? Kann man es erklären?

    Junko Baba: Erst muss man die Wörter Wabi und Sabi kennen. Wabi steht für Vergänglichkeit, Sparsamkeit, sogar Armut, wörtlich elend, so wie ein Mönch lebt. Sabi steht für die Schönheit der Unvollkommenheit, wörtlich Reife, was in der Natur zu sehen ist. Vielleicht kann ich es durch Beispiele besser erklären: Wenn die Kirschblüte in voller Blüte ist, ist es kein Wabi-Sabi. Aber wenn sich die Vollblüte ihrem Ende neigt und der Wind die Blüten durchgewühlt abbläst, der Tanz der Blätter in der Luft, das ist Wabi-Sabi: vergänglich, elend, unvollkommen und trotz aller negativen Adjektive harmonisch und bewundernswert. Oder denken wir an die Schönheit des Moosgartens: Moos selbst wächst an alten, zerfallenen Gegenständen, und beschleunigt deren Ruin. Verdeckt aber im Ganzen das Vergangene, strahlt Ruhe und Harmonie aus.
    Im Shodo, entgegen der Malerei, werden nur zwei Farbe verwendet, schwarze Tusche und weißes Papier. Davon ist es aber noch weit nicht Wabi-Sabi. Wabi-Sabi wird es erst, wenn das Papier nicht voller Schrift ist, sondern wenn genug Leere bleibt. Genug unberührter Platz, wo man zwar noch schreiben könnte, es aber nicht tut. Es entsteht die Harmonie einer unvollendeten, sparsamen, sich Reife zeigenden Kunst.


    Indigourlaub: Sie sind auch Performance-Künstlerin. Eine Performance will etwas. Was ist ihr aktuelles Thema? Über was sollen die Menschen nachdenken, die Ihre Performance sehen?

    Junko Baba: Mein Thema ist nie mein Thema, sondern das Thema des Shodos. Auch während einer Performance ordne ich mich dem Shodo unter und ziehe bewusst keine fremden Themen hinein. Shodo lebt immer im Jetzt, in diesem Augenblick. Nicht was vorher passiert und nicht was danach passieren könnte. Das gebe ich an meine Zuschauer weiter: Lebt den aktuellen Augenblick achtsam, weil entstandene Fehler später gutzumachen, oder der Vergangenheit nachzuweinen, bringt wenig.

    Natürlich gibt es ein Konzept: ich muss in wenige Minuten den Zuschauern vorführen, wie ein Werk entsteht. Die Phase die Vorbereitung, wo ich mich geistlich ins Geschehen einstimme. Das Planen des Kunstwerks, wo ich ohne Pinsel mit leerer Hand das Papier gedanklich beschreibe. Und letztendlich die Erschaffung der Kalligraphie. Dabei müssen Inhalt, Größe, Schriftstyle, Bewegung, Werkzeuge, Begleitmusik, live natürlich, miteinander harmonieren. Sogar mein Performancekleid wird dementsprechend ausgewählt (siehe Bild).


    Indigourlaub: Wie kann eine nach außen hin so ruhig wirkende Ausdrucksform wie Shodo eine performative Kraft entwickeln?

    Junko Baba: Die Kraft steckt in der Ruhe. Hektische Bewegungen, spektakuläre Aktionen, laute Aufschreien wirken für mich eher als Ersatztätigkeit fehlender Kraft.


    Indigourlaub: Man liest viel über den japanischen Begriff „Ikigai", also das persönliche Lebensziel. Wissen Sie, was Ihr „Ikigai" ist? Verraten Sie es uns?

    Junko Baba: Freude, die andere ansteckt. Damit kann man sogar Kriege vermeiden.

     

    „Lebt den aktuellen Augenblick achtsam, weil entstandene Fehler später gutzumachen, oder der Vergangenheit nachzuweinen, bringt wenig.“




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